Mein Vater war ein leidenschaftlicher Hobbygärtner. Er hatte nahe dem Stadtrand ein ansehnliches Grundstück gepachtet, auf dem anfänglich außer einem Gartenhäuschen nur ein riesiger Kirschbaum stand und drei Fichten, die einen Teil des Grundstückes zwar unbrauchbar machten für die Aufzucht von Gemüse, aber an heißen Sommertagen herrlich duftenden Schatten spendeten. Den Winter über verbrachte mein Vater mit der Lektüre von Gartenbüchern. Kaum aber waren die ersten Zeichen des Frühlings zu erkennen, zog es ihn hinaus. Er grub die Beete um und versorgte sie mit Stallmist. An Schnüren entlang zog er exakte Furchen in die krümelige Erde und pflanzte und säte , was des Gärtners Herz erfreut: Radieschen, Salat, Zwiebel, Rote Beete, Knoblauch, Kohlrabi, Sellerie, Lauch, Spinat, Erbsen, Bohnen, Tomaten, Gurken. In seinem Garten gab es Erdbeeren, Sträucher mit roten und schwarzen Johannisbeeren. Es gab sogar einen kleinen Himbeerschlag. Am Gartenhaus pflanzte er eine Kletterrose, die schon bald ihre rankende Pracht mit unzähligen dunkelroten Blüten erstrahlen ließ. Ein weißer und ein dunkelvioletter Fliederstrauch verbreiteten im Frühling betörenden Duft, das Gelb der Forsitien am Gartenzaun war alljährlich eine zauberhafte Farb-Explosion, und unter den Fichten standen Maiglöckchen in grün und weiß. Es gab Petersilie, Schnittlauch, Majoran, Rosmarien und Thymian. In der hintersten Ecke des Gartens befand sich, von Jasmin verdeckt und beschattet, Vaters Goldgrube – wie er es nannte – der Komposthaufen. Zu seinen Füßen wuchs Rhabarber und mit riesig wuchernden Blättern eine Krenstaude, deren Wurzeln einem schon beim Schaben die Tränen in die Augen trieb. Der Garten meines Vaters war ein kleines Paradies. Doch als Jugendlicher und auch noch als junger Erwachsener hatte ich nur ein verständnisloses Kopfschütteln übrig für diese Leidenschaft. Jäten, gießen, sich die Hände schmutzig machen – wie konnte man sich nur für so biedere Dinge begeistern? Die geernteten Früchte aber nahm ich gerne entgegen. Und wenn die Kirschen reif waren, pflückte auch ich schon mal gerne die roten, süßen Früchte vom übervollen Baum- allerdings nur zum sofortigen Verzehr. Mit dem Tod meines Vaters wurde der Pachtvertrag aufgehoben. Der Garten ging zurück an seine Besitzer. Das Gartenhäuschen musste geräumt werden. Mein Bruder übernahm die Gartenmöbel, meine Mutter das alte Kofferradio. Doch da waren noch Gartengeräte jeder Art, vom Setzholz und Apfelpflücker bis zum Blumendraht. Weder meine Mutter noch mein Bruder hatten Verwendung für diese Gegenständen. Auf den Müll damit? Nein – das ging nun gar nicht. Also packten wir, mein Mann und ich, die alten, vom häufigen Gebrauch gezeichneten Gerätschaften in eine Kiste und nahmen sie mit in unser erst kürzlich erworbenes Haus im fernen belgischen Hohen Venn. Mit Hilfe dieser Werkzeuge entstand über die Jahre hin um unser Haus ein blühender Garten, ein kleines Paradies. Auch hier. Seltsamer Weise jedoch hatte ich nie Verwendung für Vaters Blumendraht. Unbeachtet und nur von Zeit zu Zeit beim Staubwischen verschoben lag die Spule auf meinem Arbeitstisch. Nahezu zwanzig Jahre lang. Dann aber - als hätte sie darauf gewartet – entstand aus ihrem Draht das erste Männchen und in der Folge die ersten „Momente in Draht“.
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